All unsere jüngeren wie älteren Schwimmerinnen und Schwimmer wissen, wie schwer es ist, bestimmte Pflichtzeiten vorzuweisen, um sich für die Teilnahme an den NRW-Meisterschaften bzw. NRW-Jahrgangsmeisterschaften zu qualifizieren. Bei Freiwassermeisterschaften gibt es keine Pflichtzeiten, dafür eine andere Hürde zu überwinden, nämlich bereit zu sein, am Tag der Tage 40 Minuten im See zu schwimmen, wobei man erst am Tag der Tage dessen Wassertemperatur erfährt. Eine weitere Hürde ist die Vorbereitung auf den Wettkampf, diese sollte idealerweise auch in einem See stattfinden.
Drei unerschrockene Freie Schwimmerinnen und Schwimmer stellten sich im Vorfeld der Herausforderung, bei teils widrigen Lufttemperaturen als auch grenzwertigen Wassertemperaturen teils mit, teils ohne Neoprenanzug im heimischen Barbarasee zu trainieren.
Am heutigen Fronleichnamsdonnerstag geht es früh mit dem PKW nach Gronau, wo im Dreiländersee die Internationalen Nordrhein-Westfälischen Freiwassermeisterschaften 2023 stattfinden. Anfangs ist die Lufttemperatur noch frisch, dagegen finden Cynthia und Dirk, die sich einschwimmen, die Wassertemperatur zum aushalten, die Veranstalter haben 20,3°C gemessen. Der gesamte Wettkampf wird somit ohne Neoprenanzüge bestritten.
Als Erste von uns Dreien ist Cynthia dran, die nach ihrer Teilnahme an den Deutschen Freiwassermeisterschaften 2021 in Münster die meiste Erfahrung der drei Freien mitbringt, seinerzeit benötigte sie 40:13,34 für 2500 Meter. Heute startet sie im Feld mit 47 jungen Frauen bis 16 Jahre.
Im Vergleich zu vor zwei Jahren kann Cynthia sich um mehr als zwei Minuten verbessern, sie wird Sechsundzwanzigste der jungen Damen bzw. Vierte in ihrem Jahrgang 2007 und benötigt für die Distanz 37:51,58, damit unterbietet sie die 40:03,78 deutlich, welche die seinerzeit 17-jährige Sabrina 2013 schwamm. Somit hält Cynthia ab sofort einen DST-Rekord.
Nach den Teenagern bis 16 Jahre folgen die Erwachsenen ab 20 Jahre, welche gelegentlich als Masters belächelt werden, heute sind jedoch ausschließlich Sportlerinnen wie Sportler mit Leib und Seele am Start, die sich allesamt gewissenhaft vorbereitet haben, wovon sich manch Jüngere eine Scheibe abschneiden können.
21 Damen sowie 19 Herren verschiedensten Alters gehen gleichzeitig an den Start, wobei seitens FSD Cynthias Mutter Celia, die in den Achtzigern als Jugendliche unzählige Wettkämfe für die Freien bestritten hat, besonders bemerkenswert ist, da sie seitdem bzw. seit über 30 Jahren nicht mehr als Aktive an einem Schwimmwettkampf teilgenommen hat, wenngleich man sie in den vergangenen Jahren bei so gut wie jedem Wettkampf in wichtiger Position als Kampfrichterin am Beckenrand oder im Protokollraum sah.
Bei ihrem ersten Wettkampf nach so langer Zeit stellt Celia sich Ihrer Familie zuliebe der Herausforderung 2500 Meter Freiwasser und trainierte dafür so gut es ging. Von dramatischen Szenen, Verfolgungsjagden wie Zweikämpfen kann ich leider nicht berichten, bin ich doch gleichzeitig im Wasser und kann meine liebe Frau nicht beobachten.
Im Feld der 21 Damen wissen wir weder, wieviel Erfahrung die anderen im Wettkampfschwimmen im Allgemeinen bzw. im Freiwasserschwimmen im Speziellen mitbringen, noch hat Celia selbstverständlich keine Vergleichszeit wie Cynthia, somit kann die 41:44,80 schlecht kommentiert werden. Immerhin wird sie Zwölfte der Damen oder wie Tochter Cynthia Vierte in ihrer Altersklasse.
Bis zur Corona-Pause konnte ich im Erwachsenen-Leben bereits einige Wettkampf-Erfahrung sammeln, doch auch mir ist Freiwasser noch nicht untergekommen. Mein erster Wettkampf nach drei Jahren Unterbrechung also auch für mich ein ordentlicher Brocken. Immerhin kann ich den Verlauf des Wettkampfs aus meiner Perspektive beschreiben.
So ist man nach dem Start in einem Pulk, welcher sich nach der ersten Boje des Dreieckskurses entzerrt. Ziemlich bald während der ersten der zwei 1250 Meter langen Runden merke ich, dass vor mir keine Schwimmerin oder Schwimmer in Reichweite wäre und ebenso habe ich hinter mir meine Verfolger weit abgeschüttelt, also keine Verfolger. So schwimme ich mein eigenes Rennen, wie ich es vom Training im Barbarasee gewohnt bin.
Interessant wird es an der letzten Boje vor der Zielgeraden, als ich zu einem der vor mir Schwimmenden aufschließen kann. Nicht dass ich besonders schnell geschwommen wäre, anscheinend ist der Kamarad über seine Verhältnisse flink angegangen und muss nun mit seinen schlecht eingeteilten schwindenden Kräften zusehen, wie er klarkommt. War mein Tag bis hierhin eher gemütlich, was die geneigte Leserin oder der geneigte Leser nach 2000 Meter im kalten Wasser gewiss schwer nachvollziehen mag, so packt mich jetzt der Ehrgeiz und es wird richtig anstrengend.
An meine eigenen Grenzen gehend schließe ich zum bis-dato-Vordermann auf, als er es bemerkt, wehrt er sich selbstverständlich nach Kräften und mobilisiert noch einmal all seine Reserven für einen Endspurt. So muss ich auch noch eine Kohle drauflegen, es gibt zwischen uns ein megaspannendes Finish, denn es besteht duraus die Möglichkeit, dass ich vollends einbreche, doch letztendlich ist mein Endspurt effektiver und ich habe im Ziel eine Körperlänge bzw. zwei Sekunden Vorsprung.
Natürlich war wie immer kein Kamerateam der Sportschau vor Ort, die sind doch immer nur im Fußballstadion. Egal, ich bin sehr erstaunt, denn der soeben von mir Überholte ist 22 Jahre alt bzw. 34 Jahre jünger als ich und gewinnt mit seiner 39:47,86 in seiner Altersklasse Gold?
Mit meiner 39:45,83 werde ich von den 19 Gestarteten Herren Sechster bzw. Zweiter in meiner Altersklasse. Nun sind wir nicht wegen Medaillenjagd nach Gronau gefahren, sondern weil uns die Herausforderung Freiwasserschwimmen reizt und uns ehrlich Spaß macht. In Gronau waren wir darüber hinaus als Test für die Deutschen Freiwassermeisterschaften in zwei Wochen im Guggenberger See bei Neutraubling oder Regensburg.